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Autosoziobiographie und Bourdieu
2. November 2023 @ 09:30 – 3. November 2023 @ 20:00
!!! ACHTUNG: Der Vortrag von Eva Blome entfällt krankheitsbedingt. !!!
2.-3. November 2023
Universität Wien, Schreyvogelsaal, Batthyanystiege, Hofburg
Konzept und Organisation: Haimo Stiemer, Norbert Christian Wolf, Lydia Rammerstorfer und Fabienne Steeger für das Netzwerk „Bourdieu in den Geisteswissenschaften“ (BiG)
Im Dezember 2022 ist Annie Ernaux für ihr autosoziobiografisches Œuvre der Literaturnobelpreis verliehen worden. Eine Konsekration mit der höchsten internationalen Auszeichnung wäre im deutschsprachigen Raum vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen, hatte man die französische Schriftstellerin hier doch erst seit der Übersetzung von Didier Eribons Retour à Reims auf dem Radar. Die Autosoziobiografie ist in jüngerer Zeit zu einer globalen Gattungsbezeichnung avanciert. Den damit nominierten Texten ist gemein, dass sie die individuelle Biografie mit einer Sozioanalyse verknüpfen und dabei den sozialen Aufstieg durch Bildung zu ihrem Erzählgegenstand machen. In ihrer Thematisierung von sozialer Reproduktion – die eigenen Bildungsaufstiege werden nicht als individuelle Erfolge, sondern als Bestätigung der Regel dargestellt – stehen jene Texte in engem Zusammenhang mit der Bourdieu‘schen Soziologie. So bezeichnet etwa Ernaux die Lektüre von Les héritiers als „un choc ontologique violent“ (Ernaux 2002, dt.: „ein heftiger ontologischer Schock“). Auch in der Rezeption spielt Bourdieu eine wichtige
Rolle, etwa wenn eine befragte Französischlehrerin in einer Studie von Isabelle Charpentier
pointiert herausstellt: „Annie Ernaux, c’est Bourdieu en roman“ (Ernaux 2005: 172, dt.: „Annie Ernaux, das ist Bourdieu als Roman“). Eribon und Édouard Louis betonen ihrerseits – ob in ihren Texten oder bei öffentlichen Auftritten – mehrfach ihre starke Bezogenheit auf Bourdieu, den Eva Blome als „soziologischen Patriarchen“ (Blome 2020: 563) dieser drei Autosoziobiografen bezeichnet.
Der geplante Workshop des Netzwerks „Bourdieu in den Geisteswissenschaften“ (BiG) soll den Einfluss Bourdieus auf das autosoziobiografische Genre nachzeichnen und vor allem eine literarsoziologische Bestandsaufnahme dieser Gattung im deutschsprachigen Raum vornehmen.
Gefragt wird ebenso nach den methodischen Konsequenzen, die sich sowohl aus den
intertextuellen als auch aus den literaturwissenschaftlichen Bezugnahmen auf Bourdieus Studien, zum Beispiel Les héritiers, La distinction, Méditations pascaliennes oder Esquisse pour une autoanalyse, ergeben. Statt den bislang vor allem namentlich und thematisch beobachteten Bourdieubezügen des Genres oder dem zu kurz greifenden Umgang mit zentralen Analysekategorien (Kapital, Habitus oder Feld) soll es darum gehen, die Reich- und Tragweite der Verbindung zwischen Bourdieu und Autosoziobiografie zu untersuchen.
Link zum Programmdownload: https://ucloud.univie.ac.at/index.php/s/uLfGqXMdtnPHaMm
Grafik: „Die gläserne Decke“. (Haimo Stiemer)