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Workshop: Briefkultur und Medienwandel um 1800

19. Dezember @ 16:00 21. Dezember @ 19:00

Ort: Schreyvogelsaal (Hofburg), Batthyanystiege


Workshop im Rahmen des MSCA-Projekts „Journalpoetics“, in Kooperation mit dem Institut für Neugermanistik Wien sowie dem Verein für Neugermanistik Wien
Organisation: PD Dr. Astrid Dröse (Verona), Dr. Lydia Rammerstorfer (Wien)
Universität Wien, Schreyvogelsaal, Hofburg, Batthyanystiege
Kontakt: astridkerstin.drose@univr.it / lydia.rammerstorfer@univie.ac.at


Das 18. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Briefe. Zwar waren Briefe bereits in der Frühen Neuzeit wichtige Kommunikationsmedien, doch die epistolare Praxis veränderte sich im Auf-klärungsjahrhundert infolge sozialgeschichtlicher Entwicklungen und technisch-logistischer Innovationen stark: So machte etwa die verbesserte Postinfrastruktur zum ersten Mal einen rascheren Austausch auch unter Privatpersonen möglich, zugleich ließ die gesteigerte Alphabetisierung die Zahl an Briefschreibenden in die Höhe gehen. Für Frauen wird der Brief zum Medium individueller Aussprache; darüber hinaus entstanden durch die Briefkultur neue kommunikative Formeln der schriftlichen Konversation jenseits von Adel und Klerus. Briefsteller werden seit dem späten 17. und im Laufe des 18. Jahrhunderts ein wichtiges Segment des Buchmarkts.
Der Brief wird aber zugleich auch als literarische Form bedeutend: Fiktive Korrespondenzen, Briefromane und Briefgedichte simulieren im Zeichen der empfindsamen Mode Intimität und Privatheit. Man denke nur an Goethes Die Leiden des jungen Werthers (1784) – an diesem Beispiel wird deutlich, dass „Seelenspiegelungen sowie psychologische Selbstbekenntnisse […] auch in deutschen Briefromanen des 18. Jahrhunderts keine Seltenheit“ (Košenina 2020, 924) darstellen.
Auch die res publica litteraria hatte an der intensiven Briefkultur der Zeit großen Anteil – Autorinnen und Autoren kommunizierten miteinander, mit ihren Verlegern, auch mit Lesern, besprachen Texte, versendeten Manuskripte; kurzum: Briefe waren ein zentraler Faktor für die Organisation des Literaturbetriebes bzw. überhaupt für die Etablierung eines Buchmarktes wie wir ihn heute kennen. Diese wechselseitigen Zusammenhänge zwischen Briefkultur und Literatur um 1800 wollen wir im Rahmen des Workshops in den Blick nehmen. Der Brief wird dabei als facettenreiches Medium verstanden, das sich mit vielfältigen literarischen, ästhetischen, sozial- und mediengeschichtlichen sowie kulturwissenschaftlichen Fragestellungen verbinden lässt.
Ein besonderer Fokus wird auf zwei leitende Aspekte gelegt: (1) auf die Form des Briefes und ihre Bedeutung für die Ästhetik um 1800 sowie (2) auf die Zusammenhänge zwischen Briefkultur und medialem Wandel.
(1) Für die Mediengeschichte und Ästhetik der Weimarer Klassik spielt die Form des Briefes eine zentrale Rolle: Man denke nur an Schillers Abhandlung „Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen“, die 1795 in mehreren Folgen in den Horen erschien. Auch an anderer Stelle wird deutlich, wie wichtig für Schiller die unscholastische, „epistolarische Form“ (SW V, 1141) zur Vermittlung ästhetischer, philosophischer und poetologischer Inhalte ist und wie experimentell er damit umgeht. Seine ästhetischen Ideen entwickelte Schiller im Kallias-Briefwechsel mit seinem Freund Körner, im „Brief eines reisenden Dänen“ – erschienen in seiner Zeitschrift Thalia – lässt Schiller den fiktiven Besucher eines Antikensaals seine Eindrücke schildern, seinem Zeitschriftenroman „Der Geisterseher“ (ebenfalls in der Thalia) fügt er „Philosophische Briefe“ (1786) hinzu, in den „Briefen über Don Karlos“ (1788) rechtfertigt er sein Drama vor der Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite waren die Autorinnen und Autoren um 1800 aktive ‚reale‘ Briefschreiber. Goethes Korrespondenz mit Schiller gehört zu den kanonischen Texten der deutschen Kultur- und Literaturgeschichte – doch z. B. auch die Briefwechsel Schillers mit seiner Schwägerin Caroline von Wolzogen, mit der Dichterin Sophie Mereau, mit Wilhelm von Humboldt, dem Verleger Cotta und vielen anderen stellen ein hoch-interessantes, bislang kaum erschlossenes Korpus dar, das uns die die Akteure der Klassik in vielen Rollen und Situationen ihres Alltags zeigt und näher bringt.
(2) Briefe stehen in einem engen Zusammenhang mit dem medialen Wandel der Zeit. Das gilt für den Buchmarkt generell, ganz besonders aber für jenes Medium, das das Jahrhundert wie kein anderes bestimmte: die (literarische) Zeitschrift. Gerade Periodika, die eine größere Anzahl an Akteure zusammenbrachte und die an fixe, zum Teil eng getaktete Publikationsrhythmen gebunden waren, bedurften eines funktionierenden Kommunikationsnetzes. Für die Lite-raturwissenschaft sind Briefe daher eine wichtige – und zumindest von der Journalforschung – noch viel zu wenig beachtete Quelle. Aus den Briefen lassen sich einerseits wesentliche As-pekte der Journalpoetik einer Zeitschrift rekonstruieren: Sie gewähren etwa Einblick in die Praktiken der Journalarbeit, erlauben es, Netzwerke und Konstellationen eines Unternehmens zu erhellen und die Entstehung von Programmatiken besser zu verstehen. Im Fall von Schiller bieten sie z. B. reiche Einblicke in seine ästhetische und journalpoetische Werkstatt (etwa der Horen). Andererseits ist der Brief an sich eine bevorzugte Darstellungsform für das Medienformat Journal (s. die oben genannten Beispiele). Der explorative Workshop will diese doppelte Bedeutung der Briefkultur um 1800 für die Journalforschung im Speziellen, aber auch generell für die Zeit um 1800 nachspüren
Durch ein breites zeitliches Panorama vom späten 18. bis ins frühe/mittlere 19. Jahrhundert soll zudem eine diachrone Betrachtung möglich werden. Ausgehend von der Workshop-leitenden Annahme der zentralen Bedeutung vom Briefen für die Kommunikationskultur und den Buchmarkt um 1800 gilt es Kontinuitäten sowie Brüche zu reflektieren.